Der Himmel über Tanger
Die sinnlichen Geheimnisse der Frauen in Marokko
Marokko hat auf Westeuropäer immer eine besondere Faszination ausgeübt. Auch Christine Kaufmann wurde mit dem Virus de Tanger infiziert und ist ihm erlegen: „Man kommt für eine Woche und bleibt für den Rest des Lebens. Oder bleibt, wie in meinem Fall, für eine Zeit, die mir wie ein ganzes Leben erscheint. Ich will gar nicht erst versuchen zu beschreiben, welcher Wind mich nach Tanger geführt hat. Es war ein Zuviel an Gefühlen: Ängste, Sehnsüchte, Wildheit und Lebensgier. Ich fand, völlig unerwartet, Geborgenheit. Wie könnte ich dieses Land nicht leidenschaftlich lieben? Schon in der ersten Nacht stand am Himmel ein Komet. Es war Kismet, nicht Zufall, dass ich dort die wichtigste Phase meines Lebens verbrachte.“
Die orientalische Kultur, diese Welt der fließenden Zärtlichkeiten und gehüteten Schätze, hinterlässt bei ihr einen unauslöschlichen Eindruck, ja verändert ihr Lebensgefühl von Grund auf: Die Düfte und Genüsse der Kasbah, die verführerischen Kleider, die intensiven Begegnungen mit Frauen, die zu Freundinnen werden, offenbaren ihr eine nie gekannte Schönheit.
In der körperlichen Kraft und Sinnlichkeit dieser Frauen entdeckt Christine Kaufmann eine erotische Kommunikation, die ihr als einer Frau des Westens aufregende neue Einblicke in andere Formen der Weiblichkeit ermöglicht. Sie unternimmt in diesem Buch einen unkonventionellen, überrachenden Versuch, sich einer fremden Kultur zu öffnen und von ihr zu lernen.
Christine Kaufmann ist seit ihrer ersten Filmrolle 1954 eine der bekanntesten deutschen Schauspielerinnen, stand vor den Kameras berühmter Regisseure und hat in zahlreichen Kino- und Fernsehfilmen gespielt. Sie ist außerdem Designerin und Autorin von erfolgreichen Büchern über Schönheit, Gesundheit und Vitalität.
„Spannende Geschichten zu erzählen ist in dieser Kultur immer noch ein wichtiges Element des Verzauberns.“
Christine Kaufmann enthüllt in einer aufregenden Reise in die Geheimnisse von Tausendundeiner Nacht die Essenz der orientalischen Sinnlichkeit.
Dieser mitreißende Erfahrungsbericht verbindet den Reiz des Exotischen mit der Neugier auf eine unbekannte Welt.
Leseprobe
Der Himmel über Tanger
Als mein Vater starb, lebte ich mit meiner älteren Tochter und meinen Enkeln in Wien. Sein Tod unterbrach eine glückliche Zeit, die einzige, in der das Schicksal mir das gab, wonach jeder Mensch sich sehnt. Meine Unfähigkeit, meine Trauer auszudrücken, zeigte, dass ich sein deutsches Herz geerbt hatte, das, was ich mir am wenigsten wünschte. Entweder nichts zu fühlen oder zu viel.
Die Fähigkeit, sehr viel mit zusammengebissenen Zähnen hinter sich zu bringen, ist sicher etwas, das, zumindest in der Generation vor mir und ganz sicher in mir, eine große Rolle spielt. Die Fähigkeit, nichts zu fühlen, ist auch die Basis von Leistungen. Nur als mein Vater starb, fand ich nirgendwo in meinem Herzen ein Loch, aus dem das ganze Unglück fließen konnte. Das machte mich verrückt. Vielen Menschen widerfährt dasselbe wie mir. Wenn ein Elternteil stirbt, löst sich das Netz auf, welches auf dem Lebensweg immer eine Sicherheit bot. Zur selben Zeit gehen die Kinder aus dem Haus; sie müssen ihr eigenes Leben leben. So heißt es. Die Enkel sieht man nur ganz selten, und auch das gilt als normal. Und wenn man nicht schreien kann, obwohl man sich fühlt wie ein waidwundes Tier, weil die Gesellschaft Leiden nur im Rahmen einer gewissen Schicklichkeit duldet, reißen alle Drähte. Als Trost werden Begriffe wie midlife-crisis in den Raum gestellt. Das Wort ist wie ein Luftballon, in den ich eine Nadel stecken möchte. Ach ja, dann gibt es auch noch das empty nest syndrom, in dem schon Packungen mit Prosac und Hormonen liegen. All das steht bereit, wenn der Punkt im Leben erreicht ist, an dem man sehen kann, wie das letzte Drittel des Sandes durch die Uhr fließt.
Doch, ein Nervenzusammenbruch fühlt sich interessant an. Es ist wie ein langes inneres Erdbeben. Ich war ganz klar und vollkommen weg zugleich. Ein Auge sieht scharf, das andere verschwommen. Das Gerüst der bisherigen Lebensform hält nicht mehr. Ich hatte das Gefühl, mit je einem Bein auf zwei Eisschollen zu stehen, die auseinanderdriften. Mir war nicht nach Hormonen und Beruhigungspillen. Ich löste meine Prachtwohnung in Wien auf, lagerte die Möbel ein und entschied mich für eine Abenteuerreise, die man nicht im Reisebüro buchen kann.
Himmel und Hölle sind in Tanger so innig verzahnt wie ein Reißverschluss. Die Gefühle, welche im Laufe der Zeit so viele Fremde an diese Stadt gebunden haben, werden von den Einheimischen lakonisch als „Virus de Tanger“ quittiert. Man kommt für eine Woche und bleibt für den Rest seines Lebens. Oder bleibt für eine Zeit, die einem wie ein ganzes Leben erscheint.
Ich will gar nicht erst versuchen zu beschreiben, welcher Wind mich nach Tanger geführt hat. Es war ein Zuviel an Gefühlen: Ängste, Sehnsüchte, Wildheit und Lebensgier. Vielleicht war es auch die Suche nach einer anderen Wirklichkeit. Ich fand, völlig unerwartet, Geborgenheit.
Ein paar Worte gibt es seit dieser Zeit für mich nicht mehr: das Konzept des Zufalls. Angst und die Behauptung des „Normalen“ im Westen. Jetzt weiß ich auch, dass man sich in acht nehmen muss vor den Menschen, die nur dann verreisen, wenn sie eine Abart der eigenen Wohnung am Ziel vorzufinden wünschen. Sie markieren eine Frau, die verreist, um in der Fremde zu sich selbst zu finden, noch dazu in Afrika, zu gern mit dem Etikett „Flucht vor der Wirklichkeit“. Auch das Wort „Drogenkonsum“ verknüpft man gern mit Marokko. Aber wer braucht schon Drogen, älter werden ist ohnehin wie ein Traum. Die Realität bekommt so viele Schichten: Achtzig sein muss sich anfühlen wie ein LSD-Trip. Nein, nervliche Überreizung und das marokkanische Klima reichten mir. Sie schafften einen Rausch der Nüchternheit.
Dieser Aufenthalt in Tanger war für mich nicht der erste. Doch als junge Hippiefrau habe ich das Land nicht so ausführlich erlebt. If you can remember the sixties, so geht der Satz – wer sich an die sechziger Jahre erinnern kann, war nicht dabei. Doch ich erinnere mich an die Reise sehr wohl, im Bus der Einheimischen, Hühnern und Ziegen, schon in der ersten Nacht in Marrakesch stand am Himmel ein Komet. Wie könnte ich das Land nicht leidenschaftlich lieben. Es war Kismet, nicht Zufall, dass ich dort die wichtigste Phase meines Lebens verbrachte …
Mitten ins arabische Herz
Der Weg zu meinem Leben und Wohnen in Tanger begann auf einer Straße, die aussah wie zimtfarbener Puderzucker. Diese führt an einem großen Hügel vorbei, Cabo Negro genannt. Vom Meer aus im Gegenlicht sieht er aus wie das Profil eines Mohren. Cabo wird er von den Ansässigen genannt.
Es ist das Capri Marokkos, und im Sommer ist dort die Hölle los. Da tummeln sich die Reichen und Vergnügungssüchtigen. Im Winter dagegen ist es himmlisch still und menschenleer; die paradiesische Atmosphäre ist für mein Empfinden nur im Winter zu spüren. Mein Freund Claude, der riesig ist, dick wie ein Wal und ebenso anmutig wie dieser unter Wasser, hatte mich in Los Angeles eingeladen: „Come to Cabo and, of course, stay als long as you want.“
Claude merkte nicht, zumindest nicht gleich, dass ich meinen Nervenzusammenbruch abstotterte. Dies machte mich, vor allem für mich selbst, unberechenbar.
Sein Haus Liegt, wie die meisten Villen, eingebettet zwischen Eukalyptusbäumen und Mimosenbüschen. Es ist auf einem abschüssigen Grundstück gebaut, dadurch hat es verschiedene Ebenen und Terrassen. Im Gegensatz zu den Häusern der meisten Nachbarn war es geometrisch klar in der Architektur und eingerichtet wie manche Häuser in Dänemark. Die Außenwelt dominierte; es gibt kaum etwas Schöneres als das duftende Klima auch in den Räumen zu riechen.
Im Winter wird Cabo von der Dienerschaft beherrscht. Sie picken wie kleine Vögel auf einer schlafenden Löwin Essbares aus dem Fell. Obwohl sich die Dienerinnen und Gardiens (eine Art Hausmeister) beim ersten Eindruck durch nichts von dem unterscheiden, was ich als Sklave bezeichnen würde, ist das Wesen der Bindungen zwischen Herrschaft und Personal eine Welt für sich. Wenn es auch Merkmale der Sklaverei hat, so ist diese wesentlich gemütlicher als zum Beispiel die, die in den Armenquartieren von Los Angeles praktiziert wird. Dort nähen Menschen für Pfennige, atmen giftige Farbpartikel ein und wissen, da sie kein Englisch sprechen, wohl gar nicht, in welchem Land sie sich befinden.
Les Filles, meist heißen sie Fatima oder Aisha, sind ein elementarer Bestandteil des Lebens. Sie schaffen eine Atmosphäre des sinnlichen Luxus, der nichts mit dem Luxus westlicher Prägung zu tun hat. Einer der Gründe ist natürlich, dass jedes mediterrane Land durch das Meer, die Pflanzen, Blumen und Gerüche die Seele öffnet. Eine Aisha schlurft mit bebendem Popo einfach ein paar Schritte in den Garten und kehrt wenige Minuten später mit einem prachtvollen Blumenstrauß in der Hand zurück, der duftet wie der Sommer meiner Kindheit. Das Wichtigste ist der Unterschied in den emotionalen Bindungen: Dienen ist nichts Beschämendes, denn alle dienen Allah. Die Beziehung zur Herrschaft ist herzlich, voller körperlicher Zärtlichkeit. Vor allem natürlich zwischen den Frauen.
Claude und seine Aisha begrüßten sich mit drei Küssen und mir, einer Fremden, wurde der gleiche Empfang zuteil. Claudes „Mädchen“ war bildhübsch und hatte, wie er mir ankündigte, eine Tochter, die aussah wie eine Elfe. Federleicht und wohl geformt wie eine kleine Puppe. Die Mutter hatte sich als Kind beim Sturz vom Apfelbaum die Hüfte gebrochen und hinkte seither stark. Das tat dem Eindruck ihrer Hübschheit jedoch keinen Abbruch, denn sie war offen und unbeschwert. Das hatte einen Grund: Wie wurde sehr früh verheiratet und hasste ihren Mann, wie sie mir später in Gesten erklärte, so sehr, dass sie Tag und Nacht daran dachte, wie sie ihn umbringen könnte.
Claude half ihr bei der Scheidung. Sie, das kleine Bauernmädel, hatte in Claude einen Herrn gefunden, der ihr Ansehen hob. Claudes Vater, ein reizender Herr, ist ein wichtiges Mitglied der jüdischen Gemeinde Casablancas. Claude liebte ihre kleine Tochter, obwohl sie nicht sein Kind war. Auch das ist sehr typisch für die schönen Seiten Marokkos. Man liebt Kinder, denn, so heißt ein Spruch. „Sie sind Seife für die Seele.“
Die Diener treffen sich in den leer stehenden Villen zum Plausch. Gelegentlich kamen sie auch zu uns und mir fiel auf, dass manche der weiblichen Gesichter so rund und strahlend wirkten wie Goldmünzen. Daher stammt wohl die Eigenart der Geste, mit der in Marokko alles „Schöne“ begleitet wird. Die Fingerspitzen einer Hand werden zusammengehalten, als ob man einen delikaten Stoff aufhebt. Dann werden die Finger kraftvoll gespreizt wie Strahlen. Es glänzt, es strahlt, es ist schön! Wie die Gesichter eben.
Ein kleines Rudel Salukis (arabische Windhunde) schwirrte wie silberne Irrlichter durch Haus und Garten. Die Zeit verging wie eine tropfende Ewigkeit. Die Bereicherung der Lebenserfahrung, fern von dem, womit man im normalen heimischen Leben aufgewachsen ist, bestand nicht aus Trophäen und Souvenirs, mit denen man die Wände oder sich selbst behängte. Das Leben in einem Land, dessen Sprache, Religion und Empfindungsweise einem fremd ist, bereicher, da sich beim Erschließen dieser Welt Facetten des Menschseins offenbaren, die einem sonst verborgen bleiben.